26.07.2021

Warum ist Circular Economy das Wirtschaftsmodell der Zukunft?

Herr Schäpers, warum ist Circular Economy (CE) das Wirtschaftsmodell der Zukunft?

Im Grunde muss man konstatieren, dass wir Menschen es verlernt haben, im Kreislauf und somit im Einklang mit der Natur zu leben. Wir sind es gewohnt, Dinge aus der Natur zu nehmen, sie in Stoffe und Produkte umzuformen, zu nutzen und wieder wegzuwerfen. Der Mensch ist die einzige Spezies in der Natur, die diesen linearen Weg lebt und nicht im Kreislauf. Aber die Natur funktioniert überhaupt nur im Kreislauf - nur so bleibt das Gleichgewicht erhalten. Alles, was in der Natur wächst und entsteht, wird am Ende vollständig wiederverwertet.

Der Earth Overshoot Day führt uns jährlich vor Augen, dass wir über unsere Verhältnisse leben und mehr Ressourcen verbrauchen als die Erde, auf der wir leben regenerieren kann. 2021 fällt dieser Tag auf den 29. Juli, in Deutschland war dies bereits der 5. Mai. Damit berauben wir uns selbst unserer Lebensgrundlage, denn es gibt nur die eine Erde, und auf dieser sind die Ressourcen nicht unendlich verfügbar. Die Verknappung der Rohstoffe sorgt in manchen Bereichen bereits dafür, dass Rohstoffpreise kontinuierlich steigen. Zudem sichern sich einige Länder strategische Reserven, was wiederum dazu führt, dass schwächere Länder keinen Zugriff erhalten und somit soziale Ungleichheiten und Spannungen steigen können. Länder mit gesicherten und seltenen Rohstoffreserven bestimmen zunehmend den Preis und nutzen dies als Druckmittel. Die Verknappung führt zudem dazu, dass die Gewinnung von Rohstoffen mit einem immer höheren Aufwand und damit immer größeren Auswirkungen auf die Umwelt einhergeht. Diese Situationen werden sich weiter zuspitzen, wenn wir nicht gegensteuern, und daher kann es nur eine Antwort geben: Wir müssen unsere Wirtschaft, aber auch unsere Gewohnheiten nach den Kriterien der Circular Economy ausrichten.

Wie kann die Baubranche zu einem wichtigen Treiber der Kreislaufwirtschaft werden?

Die Baubranche ist für ca. 40 % der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Durch Bau- und Abbruchabfälle trägt der Baubereich zu fast 60 % des Abfallaufkommens in Deutschland bei. Im Ressourcenverbrauch wird es noch deutlicher. Die in Deutschland jährlich verbauten Rohstoffe entsprechen etwa 90 % der inländisch entnommenen mineralischen Rohstoffe. Laut Umweltbundesamt wird geschätzt, dass im Gebäudebestand ca. 15 Mrd. Tonnen an Material verbaut sind. Somit spielt die Baubranche hier eine entscheidende Rolle. Gerade die letzte Zahl verdeutlicht das ungemeine Potential der Baubranche.

Denn auf der einen Seite sind Bestandsgebäude wahre Rohstoffminen (Urban Mining). Warum abhängig sein von schwer durchschaubaren Lieferketten und Abbausituationen, wo doch unsere nationalen Umwelt- und Arbeitsschutzstandards in weiten Teilen vorbildlich sind. Man muss nur die Potentiale nutzen. Auf der anderen Seite steht die Planung der Projekte und damit die Beeinflussung sämtlicher Kriterien zur Verringerung des Abfallaufkommens auf ein Minimum. Eine Circular Economy-Strategie beinhaltet immer mehrere Faktoren.

Worum geht es hier konkret?

Es geht hierbei nicht nur um den Kreislauf an sich. Effizienz, Langlebigkeit, Reparierbarkeit und flexible Umnutzungsmöglichkeiten sind nur einige Aspekte, die Grundvoraussetzung dafür sind, um dem Ziel einer kreislauffähigen und nachhaltigen Bauweise näher zu kommen. In diesen Zusammenhang passt auch ein Schlagwort, welches derzeit häufig in Bezug auf die Klimabilanz eines Gebäudes verwendet wird: die „graue Energie“ von Gebäuden.

Was sind die Voraussetzungen dafür, dass CE in der Bauwirtschaft gelingt?

Es gibt viele Faktoren, die eine echte CE begünstigen oder aber erschweren können. Entscheidend ist, wie so oft, die Planung des Projektes, so wie es in der Industrie die Entwicklung eines Produktes ist. Genau dort werden die Parameter definiert und Weichen dafür gestellt, ob und wie die vielen Einflussfaktoren ausreichend berücksichtigt werden. Die Planung legt fest, welche Materialien verbaut werden. Zum einen sollten hier nur Materialien ausgewählt werden, die auch am Ende wieder dem Kreislauf zugeführt werden können. Es müssen aber auch die aus dem Kreislauf stammenden Baustoffe im Bau eingesetzt werden, also recycelte Baustoffe. Hier stößt man teilweise an normative oder gesetzliche Grenzen, denn auch in einigen Bauverordnungen ist die Priorisierung des Einsatzes von Sekundärrohstoffen noch nicht aufgenommen worden. Hier gilt es vom Gesetzgeber dringend nachzusteuern.

Wie wird in Ihrem Unternehmen gewährleistet, dass auch nachwachsende und recyclebare Rohstoffe so genutzt werden, dass sie recyclefähig bleiben?

Ich denke, hier stehen wir wie viele andere Unternehmen der Bauwirtschaft noch am Anfang der Entwicklung. Denn gerade bei Gebäuden ist die letzte Stufe der Wertschöpfungskette, die Entsorgung des Gebäudes, auch bedingt durch die Langlebigkeit des Produktes, noch nicht ausreichend in der Planung verankert. Es gibt weitere Gründe, die ein recyceln von Baustoffen am Lebensende erschweren.

Einerseits haben technische Innovationen dazu geführt, dass stoffliche Eigenschaften dadurch verbessert wurden, dass Baustoffe besondere Zuschlagstoffe erhalten. Dies führt dazu, dass Stoffgemische entstanden sind, die nur schwer oder nur unter hohem thermischem Aufwand wieder getrennt werden können. Der zweite Aspekt sind Verbundstoffe, die ebenfalls so zusammengefügt sind, dass sie nach der Nutzung nur unter großem Aufwand wieder in sortenreine Materialfraktionen getrennt werden können.

Können Sie dies durch ein einfaches Beispiel aus dem Alltag verdeutlichen?

Werfen wir einen geleerten Joghurtbecher einfach weg, so kann dieser nicht dem Recycling zugeführt werden. Erst wenn wir die Aluminiumfolie vom Plastikbecher entfernen, haben wir saubere und damit recyclefähige Abfallfraktionen geschaffen. Und so verhält es sich leider auch mit vielen Baumaterialien - nur dass sich hier leider selten die Trennung so einfach durchführen lässt wie am Beispiel des Joghurtbechers.

Ein weiterer Punkt sind die Fügetechniken auf der Baustelle. Durch die Möglichkeiten des Verklebens entstehen ebenfalls Verbindungen, die nicht wieder getrennt werden können. Natürliche Baustoffe erhalten Beschichtungen, die eine Wiederverwendung verhindern. Technische Innovationen haben sich somit entgegen einer CE entwickelt. Einen Weg, den K+S und die Bauwirtschaft einschlagen wird, ist daher die Einforderung von „sortenreinen Baustoffen“

Weshalb wird das Potenzial der Kreislaufwirtschaft in Ihrer Branche derzeit noch nicht voll ausgeschöpft?

Zum einen sind es die erwähnten Produkte an sich, die eine spätere Kreislauffähigkeit erschweren. Zum anderen stehen aber auch Verordnungen dieser Vorgehensweise im Wege. Mit diesem Aspekt hat sich aktuell die Initiative der „Architects for Future“ auseinandergesetzt und sich mit konkreten Vorschlägen zur Anpassung der Musterbauordnung an die Bauministerkonferenz gewandt. Die Vorschläge zielen darauf ab, Regeln und Verordnungen auf die dringend notwendigen Maßnahmen zur Erreichung der Klimaziele anzupassen. Dabei spielt das Thema „kreislauffähiges Bauen“ eine entscheidende Rolle. Oft müssen für die Nutzung bereits verwendeter Materialien oder recycelter Baustoffe Sonderzulassungen beantragt werden. Somit ist die Bauwirtschaft noch gar nicht in der Lage, kreislauffähiges Bauen in einen Standard zu überführen.

Was sind wichtige Kennzeichen nachhaltiger Baustoffe?

So wie Nachhaltigkeit sich durch eine Vielzahl an Eigenschaften auszeichnet, so verhält es sich auch bei der Bewertung von nachhaltigen Baustoffen. Es gibt Baustoffe, die aus nachwachsenden Rohstoffen bestehen, aber dennoch schädlich für den Menschen sein können. Umgekehrt gibt es für den Menschen unbedenkliche Stoffe, die aber hohe Umweltauswirkungen haben können. Zudem muss der gesamte Lebenszyklus betrachtet werden, denn bereits bei der Rohstoffgewinnung können große Umweltschäden oder Menschenrechtsverletzungen von uns unbemerkt auftreten. Daher empfiehlt es sich, hier auf die Ökobilanzen der Baustoffe zu achten. Diese betrachten nicht nur den CO₂-Fußabdruck des Produktes über den gesamten Lebenszyklus, es werden auch weitere „Wirkungskategorien“, wie u.a. der biotische und abiotische Ressourcenverbrauch betrachtet. Es gibt einige Gütesiegel, die bestimmte Nachhaltigkeitskriterien von Baustoffen garantieren. Ein Beispiel ist das „natureplus“ Siegel, dass umwelt- und gesundheitlich verträgliche Produkte kennzeichnet.

Eine Zertifizierung oder Kennzeichnung von Bauprodukten sagt aber nur bedingt etwas über die Nachhaltigkeitskriterien aus. Denn eine Bewertung hängt immer vom betrachteten Kontext ab. Dies ist auch der Grund, warum die DGNB in ihrem Navigator, der führenden Online-Plattform für nachhaltige Bauprodukte, keine Produkte zertifiziert.

Weshalb darf sich das Denken im Sinne der Kreislaufwirtschaft nicht nur auf unternehmenseigene Geschäftstätigkeiten konzentrieren. Warum braucht es den Blick auf die gesamte Wertschöpfungskette?

Das zeigt sich schon bei der Auswahl der Baumaterialien, denn hier wird nicht nur über die Eigenschaften während der Nutzungsphase oder der Verarbeitung entschieden. Das Material oder der Rohstoff des Baumaterials steht am Beginn der Wertschöpfungskette. Nutze ich „Sekundärrohstoffe“, die wiedergewonnen wurden oder Rohstoffe, die natürlich nachwachsen? Wie sind die Abbaubedingungen, welche Umweltauswirkungen hat der Abbau und werden die Menschenrechte vor Ort ausreichend gewährleistet? Aber auch wie kritisch/selten sind die Rohstoffe. All dies beeinflusst bereits die Gesamtbilanz des „Produktes“ bzw. Projekts. Dann ist wiederum entscheidend, ob das Material am Ende des Lebenszyklus recycelt werden kann. Und hier wird dann auch gleich deutlich, dass Recyclingfähigkeit gar nicht so leicht zu definieren ist. Nehmen wir beispielsweise einen Baustoff, in diesem Falle Mineralwolle, der als recyclefähig gilt. Sobald dieses Material aber mit anderen Baustoffen verbunden, womöglich verklebt wird, haben wir keinen sortenreinen Baustoff mehr und somit kein recyclefähiges Bauteil. Der Planer muss somit auch eine sinnvolle Recyclingfähigkeit einplanen. Denn das Ziel ist ja, den Kreislauf zu schließen und möglichst alle Bauteile, die nicht direkt wieder genutzt werden können, dem Kreislauf zuzuführen und als „Sekundärrohstoff“ wieder in neue Bauwerke oder andere Produkte einzubauen. Wie schon erwähnt, spielt in der Klimabilanz die graue Energie die entscheidende Rolle, die bei Zugrundelegung einer Gebäudenutzung von 50 Jahren über 50 % der gesamten Gebäudeemissionen ausmacht. Auch hier muss die gesamte Wertschöpfungskette betrachtet werden.

Erst wenn der Energieverbrauch der Rohstoffgewinnung, Herstellung des Bauteiles und einer möglicherweise thermisch aufwendigen Entsorgung mit eingerechnet wird, kann eine ehrliche Klimabilanz erstellt werden. Und so verhält es sich auch bei der kreislaufgerechten Bewertung. Übersichten über die verschiedenen Nachhaltigkeitskriterien eines Materials sind hilfreich. Bewerten muss der Planer dann allerdings immer individuell im Kontext des Projektes. Denn nur hieraus ist ersichtlich, welche Nachhaltigkeitsschwerpunkte gesetzt werden müssen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Zur Person:

Matthias Schäpers ist seit Mai 2021 Leiter für Nachhaltigkeit und Wohngesundes Bauen der Unternehmensgruppe Krieger+Schramm. Zuvor arbeitete er fast 13 Jahr bei der SMA Solar Technology AG. Dort startete er als Architekt und Projektmanager mit der Leitung eines echten Leuchtturmprojektes für nachhaltiges Bauen, der stromnetzunabhängigen Günther Cramer Solar Academy. Ab 2012 übernahm er als Corporate Sustainability Manager die Verantwortung für das Thema Nachhaltigkeit. Seine strategischen Schwerpunkte sind Nachhaltigkeitsmanagement, Energie- und Umweltmanagement sowie nachhaltiges Mobilitätsmanagement. Zuletzt entwickelte er für SMA einen Leitfaden für nachhaltige Produktgestaltung auf Basis einer Circular Economy Strategie. Sein Engagement für Nachhaltigkeit geht aber weit über seinen Beruf hinaus: Seit 2018 ist er ehrenamtlicher Klimaschutzbotschafter des hessischen Umweltministeriums für die Stadt Kassel und Vorstand des Umwelthauses Kassel. Außerdem teilt er seine Expertise in bundesweiten Vorträgen über Nachhaltigkeitsstrategien sowie Mobilitäts- und Energiemanagement in Unternehmen und Bauprojekten.

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Das Interview wurde geführt von Dr. Alexandra Hildebrandt.

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widmet sich Dr. Alexandra Hildebrandt den Visionären von heute und den Gestaltern von morgen. Beim Verlag Springer Gabler gab sie 2018 das gleichnamige Managementbuch sowie die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement heraus.

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