27.05.2021

Architects for Future: Interview mit dem Nachhaltigkeitsexperten Matthias Schäpers

Herr Schäpers, die Baubranche verfügt über ein enormes Potenzial, den CO2-Ausstoß maßgeblich zu reduzieren und aktiv zum Klimaschutz beizutragen. Was können Architekten tun, damit die Bauwirtschaft klimaschonender wird?

Die Baubranche ist für rund 40 Prozent der CO2 Emissionen der Gesamtwirtschaft verantwortlich, mehr als jeder andere Bereich. Um die Pariser Klimaziele erreichen zu können, kommt der Branche, aber vor allem den Architekten, hier eine entscheidende Rolle zu. Denn sie beeinflussen mit ihrem Entwurf sämtliche Kriterien des Lebenszyklus‘ eines Bauwerks. Sie sind im Grunde diejenigen, die für eine sogenannte nachhaltige Produktentwicklung verantwortlich sind.

In der Planungsphase werden die Weichen für die Auswahl von Baumaterialien, eine flexible Grundrissgestaltung, eine klimaneutrale Nutzungsphase sowie eine Wiederverwendbarkeit von Baustoffen gestellt. Definiert der Architekt diese Anforderungen an das Gebäude, wird die Bauwirtschaft genau diese Produktanforderungen erfüllen. Natürlich gehören dazu auch aufgeschlossene Bauherren. Aber auch hier kommt es auf den Architekten an. Eine Darstellung des gesamten Gebäudelebenszyklus zeigt Bauherren, dass Nachhaltigkeit auch wirtschaftlich sinnvoll ist.

Was verbirgt sich hinter dem Begriff nachhaltige Architektur?

Dahinter steckt mehr als das Vorhandensein von Energieausweis, LED-Lampen oder Fassadendämmung. Der Begriff Nachhaltigkeit beinhaltet den Gleichklang zwischen ökologischen, sozial-gesellschaftlichen und ökonomischen Aspekten. Alle Bereiche müssen Berücksichtigung finden. Aktuell stehen Themen wie Klimaschutz und Emissionen, sowie der Ressourcenverbrauch vom Rohstoff bis zur Wiederverwendung im Vordergrund. Aber auch die sozial gesellschaftlichen Auswirkungen von Bauwerken sind zu berücksichtigende Aspekte einer nachhaltigen Bauweise. Dabei steht der Mensch im Mittelpunkt. Zu allererst der Nutzer, der in einem gesunden Umfeld leben und arbeiten möchte, dann die direkte Umgebung und Nachbarschaft und damit die Einbindung in vorhandene städtebauliche und lokale Strukturen, aber auch alle, die an der Errichtung und Herstellung des Bauwerkes und deren Materialien involviert sind.

Eine alte Methode zur Steigerung der Nachhaltigkeit von Architektur ist ihre Begrünung. Welche konkreten Vorteile sind damit verbunden?

Bekannt ist das Thema Dachbegrünung. Diese hilft zum einen, die durch den Bau entstandene Versiegelung von Flächen zu kompensieren. Die Vegetation von Gründächern ist jedoch begrenzt, zumal die meisten Flächen extensiv angelegt werden. Zum anderen ist die Rückhaltefähigkeit von Niederschlagswasser der weitere Vorteil, gerade im Hinblick auf häufiger auftretende Starkregenereignisse in den letzten Jahren und damit verbundenen Überlastungen des öffentlichen Abwassersystems.

Interessant wird es, wenn auch Fassaden und Öffnungen an den Gebäuden zur Begrünung genutzt werden. Gerade in Ballungsräumen wird die Überhitzung im Sommer ein relevantes Problem. Hier können Begrünungen das Mikroklima positiv beeinflussen. Pflanzen filtern zudem Schadstoffe. So werden spezielle Fassaden entwickelt, die in der Lage sind, nicht nur CO2 sondern auch andere Schadstoffe aus der Luft zu filtern und zu binden. Die Flächen kompensieren damit teilweise die Emissionen, die durch Herstellung und Nutzung des Gebäudes entstanden sind oder entstehen. Zusätzlich fördern sie eine gesunde Luftqualität im städtischen Raum.

Was macht einen guten Architekten aus?

Ein guter Architekt weiß alle Interessensgruppen zu begeistern. Der Bewohner fühlt sich wohl und nimmt das Gebäude und die Funktionen an. Das Gebäude passt sich in die Umgebung ein und nimmt deren Besonderheiten auf. Zudem geht ein guter Architekt auf zukünftige Herausforderungen ein. Das heißt, er nimmt vor allem die Lebensphase und Lebensdauer des Bauwerks in den Fokus. Denn in der Planungsphase werden die Weichen für den Energieverbrauch des zukünftigen Gebäudes gestellt. Auch entscheidet der Entwurf darüber, wie groß der Aufwand einer Umnutzung und wie langlebig das Bauwerk sein wird und damit ein effizienter Ressourcenverbrauch.

Über die gesamte Lebensdauer ist eine nachhaltige und vorausschauende Bauweise auch ökonomisch sinnvoll. Den Bauherrn hiervon zu überzeugen ist eine weitere Stärke eines guten Architekten.

Welche Fragen müssen geklärt werden, bevor ein Architekt mit seiner Arbeit beginnt?

Das beginnt bereits bei der Auseinandersetzung mit der Umgebung. In erster Linie plant der Architekt für den Bauherrn, seinen Kunden und dieser definiert das Ziel des Projektes. Hier muss der Architekt die wahren Bedürfnisse des Bauherrn erkennen, sonst verfehlt das Projekt sein Ziel. Aber nachhaltig ist eine Architektur erst, wenn sie sich in die Umgebung einpasst, deren Bedürfnisse erkennt und respektiert, aber auch die zukünftigen Herausforderungen mitberücksichtigt. Dieses Zusammenspiel muss am Beginn der Planungen bedacht werden. Und hierzu sind möglichst viele Interessensvertreter einzubinden. Wenn das fertige Gebäude vom Nutzer und der angrenzenden Nachbarschaft angenommen und geschätzt wird, sind die zu Beginn eines Planungsprozesses gestellten Fragen richtig beantwortet worden.

Weshalb muss Ihrer Meinung nach immer der Mensch im Fokus der Planung stehen?

Weil sonst der architektonische Entwurf oder das technische Highlight seine grundsätzliche Aufgabe verfehlt. Architekten schaffen Wohn- und Lebensräume, in denen Menschen einen großen Teil ihrer Lebenszeit verbringen.

Wichtig für die Planung, gerade neuartiger Konzepte ist es, eine Priorisierung der Ziele mit dem Bauherrn zu formulieren. Der Architekt als Generalist hat es damit einfacher, im Planungs- und Ausführungsprozess mit allen Beteiligten Fachplanern den roten Faden beizubehalten.

Was ist für Sie das wichtigste Argument für zukünftige Herausforderungen?

Wollen wir die Chance zur Erreichung der Klimaziele nutzen, müssen alle Neu- und Umbauten im Grunde zu 100% mit erneuerbaren Energien versorgt sein, möglichst aus wiederverwendbaren oder recyclefähigen Materialien bestehen und in seiner Nutzung flexibel gestaltbar sein. Denn auf der Gebäudebestandsseite haben wir genügend Herausforderungen, um auch nur ansatzweise die Klimaziele zu erreichen. Gebäude haben im speziellen immer Auswirkungen auf die Umgebung und insgesamt auf die Gesellschaft. Zudem werden Gebäude über Generationen hinaus genutzt, somit bekommt der Begriff Generationengerechtigkeit hier auch eine ganz besondere Bedeutung. Eine besondere Verantwortung übernimmt hier nicht nur der Architekt, sondern gerade auch der Bauherr. Für gewerbliche Bauprojekte sehe ich das so; Unternehmerisches Handeln hat Auswirkungen auf die Gesellschaft. Manchmal positive, aber eben auch negative. Mit nachhaltigen Bauten wird das Unternehmen dieser Verantwortung gerecht. Diese Sichtweise würde ich mir gerade im Bereich von Investitionsprojekten im Immobilienbereich noch stärker wünschen.

War in Ihrer beruflichen Entwicklung die Ausrichtung an nachhaltigen Prinzipien schon früh eine wesentliche Grundlage Ihrer Entscheidungen?

Ja, ich entschied mich bewusst für Unternehmen mit großen Ambitionen im Bereich Nachhaltigkeit. Meine Tätigkeit bei der SMA Solar Technology AG beispielsweise startete ich mit der Leitung des in Sachen Nachhaltigkeit wegweisenden Bau der SMA Solar Academy in Niestetal.

Worum ging es vor allem bei der Konzeption der SMA Solar Academy?

Zuallererst ging es darum aufzuzeigen, dass auch in unseren Breitengraden eine stromnetzunabhängige Versorgung mit erneuerbaren Energien möglich ist. Das geht nicht nur in sonnenreichen Regionen. Das wesentliche dabei, die Funktion des Gebäudes wie auch der Komfort sollten dabei nicht eingeschränkt werden. Wir wollten damit darstellen, dass eine ressourcenschonende Gebäudeenergieversorgung keinerlei einschränkende Auswirkungen auf die Nutzung des Gebäudes hat. Und das hat definitiv funktioniert. Der Fokus lag damit zum einen auf einer Versorgung mit 100% erneuerbaren Energien, aber auch auf den zum damaligen Zeitpunkt effizientesten Energieversorgungssystemen und Gebäudestandards. Es ist ein echtes Leuchtturmprojekt geworden, das sich komplett mit erneuerbaren Energien versorgt und über das Jahr gesehen, mehr PV Energie erzeugt, als es verbraucht.

Was ist ihre neue Aufgabe bei K+S?

Ich bin verantwortlich für die Bereiche Nachhaltigkeit und wohngesundes Bauen. Wohngesundes Bauen ist bereits ein etablierter Kern bei Krieger+Schramm und kann als absolutes Alleinstellungsmerkmal angesehen werden. Verbreitet ist dieses Thema bereits im Einfamilienhausbau, aber im Wohnungsbau ist Krieger + Schramm führend. Dieses Thema weiterentwickeln und auf eine neue Ebene zu bringen, wird eine Aufgabe sein.

Als Nachhaltigkeitsexperte steht im Vordergrund, eine ganzheitliche Nachhaltigkeitsstrategie zu entwickeln und zu implementieren, die zum Geschäftsfeld und der Kernkompetenz von K+S passt. Denn nur wenn auch die wesentlichen Themen, die das Wirtschaften des Unternehmens beeinflusst, in diese Strategie integriert sind, kann sich ein ernsthaftes und glaubwürdiges Nachhaltigkeitsengagement etablieren und der größte Nutzen für das Unternehmen, die Umwelt und die Gesellschaft erreicht werden.

Warum ist der Bereich Gesundheit als eigener Fokus Ihrer Tätigkeit aufgeführt?

Das Thema Gesundheit bzw. Wohngesundheit ist seit Jahren Schwerpunkt einer nachhaltigen Produktinnovation bei Krieger+Schramm, und zwar im sozial gesellschaftlichen Bereich. Eine nachhaltige Produktentwicklung erfolgt bereits in der Planung eines jeden Projektes. Denn bereits hier wird der Baustein für eine Immobilie gelegt, die dem Nutzer das Bedürfnis eines gesunden „Zuhauses“ erfüllt. Dies ist die besondere Stärke des Unternehmens. Und dieses Thema steht im Fokus vieler Bewohner einer Immobilie. Im Idealfall lebt der Nutzer ein Leben lang in dieser Immobilie und verbringt einen Großteil seines Lebens in diesen Räumen. Und die Gesundheit ist das persönlich wichtigste Gut, das kennen wir auch von der Ernährung. Der eigene Körper und damit die eigene Gesundheit hat für die meisten Menschen die höchste Priorität. Somit legen wir besonderen Wert darauf, dass Baumaterialien und Bauteile unserer Gesundheit nicht schaden.

Soziale Nachhaltigkeitsziele innerhalb der Produktentwicklung stehen im Vergleich zu ökologischen Zielen bei vielen Unternehmen nicht im Fokus und werden unterschätzt.

Das Thema wohngesundes Bauen ist natürlich nur ein Aspekt einer ganzheitlich nachhaltigen Bauweise. Eine hohe Qualität, LEAN Management und die im Vergleich sehr geringe Mängelquote bei Krieger+Schramm wirken sich positiv auf die Vermeidung von Verschwendung aus und, wie die Steigerung der Nutzung von erneuerbaren Energien, auf den effizienten Einsatz von Ressourcen.

Gesetzliche Regelungen und Initiativen im Bereich Circular Economy stellen Unternehmen heute vor herausfordernde Aufgaben und Pflichten. Doch warum darf sich das Denken im Sinne der Kreislaufwirtschaft nicht nur auf unternehmenseigene Geschäftstätigkeiten konzentrieren, sondern muss die gesamte Wertschöpfungskette einbeziehen?

Wir müssen uns dabei einmal vor Augen führen, wie eigentlich die Natur funktioniert. Hier ist alles ein Kreislauf. Nur der Mensch handelt anders, wie ein Konstruktionsfehler im System. Wir entnehmen aus der Natur Ressourcen, verarbeiten diese zu Produkten, Nutzen die Produkte und werfen sie hinterher weg ohne sie wieder der Natur zuzufügen. Die Natur funktioniert ganz anders. Denn alles was einmal lebte oder genutzt wurde, kommt wieder in den Kreislauf und erhält dadurch ein überlebenswichtiges Gleichgewicht.

Deshalb müssen wir bereits bei der Auswahl der Ressourcen auf diesen Kreislauf achten. Sinnvollerweise werden Recyclingmaterialien, sprich “Sekundärrohstoffe”, eingesetzt und auf gesundheitsschädliche und auch Stoffe, die unter menschenrechtsverletzenden Bedingungen abgebaut werden, verzichtet. Zudem müssen wir uns für Materialien entscheiden, die am Lebensende dem Kreislauf wieder zugeführt werden können. Nur unter Beachtung dieser gesamten Wertschöpfungskette kommen wir ansatzweise dahin, was in der Natur selbstverständlich ist.

 

Zur Person:
Matthias Schäpers
 ist seit 1. Mai 2021 Leiter für Nachhaltigkeit und Wohngesundes Bauen der Krieger+Schramm Unternehmensgruppe. Zuvor arbeitete er fast 13 Jahre bei der SMA Solar Technology AG. Dort startete er als Architekt und Projektmanager mit der Leitung eines echten Leuchtturmprojektes für nachhaltiges Bauen, der stromnetzunabhängigen Günther Cramer Solar Academy. Ab 2012 übernahm er als Corporate Sustainability Manager die Verantwortung für das Thema Nachhaltigkeit. Seine strategischen Schwerpunkte sind Nachhaltigkeitsmanagement, Energie- und Umweltmanagement sowie nachhaltiges Mobilitätsmanagement. Zuletzt entwickelte er für SMA einen Leitfaden für nachhaltige Produktgestaltung auf Basis einer Circular Economy Strategie.

Sein Engagement für Nachhaltigkeit geht aber weit über seinen Beruf hinaus: Seit 2018 ist er ehrenamtlicher Klimaschutzbotschafter des hessischen Umweltministeriums für die Stadt Kassel und Vorstand des Umwelthauses Kassel. Außerdem teilt er seine Expertise in bundesweiten Vorträgen über Nachhaltigkeitsstrategien sowie Mobilitäts- und Energiemanagement in Unternehmen und Bauprojekten.

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Das Interview wurde geführt von Dr. Alexandra Hildebrandt.
Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widmet sich Dr. Alexandra Hildebrandt den Visionären von heute und den Gestaltern von morgen. Beim Verlag Springer Gabler gab sie 2018 das gleichnamige Managementbuch sowie die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement heraus.

 

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